September 2023
Mit dem Fortschritt in der Medizintechnik generieren immer mehr medizinische Geräte eine stetig wachsende Anzahl von Daten. Gesundheitsfachkräfte möchten Entscheidungen aufgrund umfassender Daten treffen, die oft an ganz unterschiedlichen Stellen entstehen und gespeichert sind. Wenn die Daten zum benötigten Zeitpunkt, im entscheidenden System und im Zusammenhang mit weiteren relevanten Daten zur Verfügung stehen, kann dies die Behandlung massgeblich beeinflussen. Die Integration von Gesundheitsdaten ist deshalb zu einem wichtigen Erfolgsfaktor für das Gesundheitswesen geworden. Erfahrungen aus verschiedenen Kundenprojekten von Helbling zeigen, dass die Betrachtung aus drei Blickwinkeln matchentscheidend für den Erfolg einer Datenintegration ist: der Blickwinkel der Hersteller von Medizinprodukten, derjenige der Leistungserbringer und derjenige der Patienten.
Gelingt es, medizinische Daten auch nutzbar zu machen?
Die Medizintechnik hat sich in den letzten Jahren stark verbessert: Medizinprodukte profitieren von technologischen Fortschritten in der Fertigungstechnik und der Softwareentwicklung sowie der künstlichen Intelligenz. Dabei werden Geräte immer kleiner, leichter und leistungsstärker. Gleichzeitig werden sie zum Internet of Medical Things (IoMT) vernetzt. Dabei geht es um vernetzte medizinische Geräte und Anwendungen, die Gesundheitsdaten sammeln, übertragen und analysieren.
Damit stehen Gesundheitsfachkräften Daten und Entscheidungshilfen in einem nie zuvor gekannten Umfang zur Verfügung. Ob allerdings die Sicherung und Verbesserung der Qualität in der Gesundheitsversorgung gelingt, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Daten auch nutzbar gemacht werden können.
Die Helbling-Fachleute sehen sich in diesem Zusammenhang immer wieder mit drei Fragestellungen konfrontiert, die gleichzeitig Erfolgsbedingungen für eine Datenintegration markieren:
a. Welche Architekturüberlegungen müssen Hersteller von Medizinprodukten berücksichtigen, um Ärzten und Patienten Daten zur Verfügung zu stellen?
b. Wie erhalten Ärzte einen einfachen und sicheren Zugriff auf die Daten in ihrem jeweiligen medizinischen Kontext (z.B. im Spital oder in der Praxis)?
c. Wie kann der Patient unterstützt werden, damit er Zugriff auf «seine» Daten hat und diese zielgerichtet zur Verfügung stellen kann?
a. Perspektive Hersteller: Moderne Medizintechnikprodukte generieren massive Datenmengen
Bis 2027 steigt gemäss Prognosen das Volumen der jährlich generierten Daten weltweit auf 284 Zettabyte [10], eine Zahl mit 21 Stellen. Dabei vergrössert sich weiter der Anteil von Gesundheitsdaten, der heute bei rund 30 Prozent aller Daten liegt. Welche Daten letztlich den grössten Nutzen liefern, ist oft nicht einfach vorherzusehen. Hersteller von medizinischen Geräten und Implantaten entwickeln üblicherweise eigene Cloud-basierte Plattformen, um die erforderlichen Funktionen für Konfigurations- und Verwaltungsaufgaben der Geräte bereitzustellen und anonymisiert Datenanalysen durchzuführen.
Hersteller übernehmen also zunehmend die Verantwortung für den Betrieb ihrer Geräte – inklusive Konnektivität und Datenstrom. Damit stellen sie sicher, dass ihre Daten in Echtzeit in der Cloud bereitstehen.
Dadurch entsteht eine Isolation zwischen dem Gerätekontext und dem medizinischen Kontext:
Diese Architektur hat einen gewichtigen Vorteil: Während die Hersteller bei den von ihren Geräten und Implantaten erfassten Daten noch auf Bereitschaft stossen, diese in Krankenhaus- oder Praxissystem importieren zu dürfen, stellt die bidirektionale Kommunikation (Lesen und Schreiben der Konfigurationen) eine grosse Herausforderung dar. Mit einer eigenen Plattform können die Hersteller das gesamte Spektrum anbieten: Vollintegration oder komplette Unabhängigkeit.
Damit aber die Leistungserbringer die für sie wichtigen Gesundheitsdaten nutzen können, sind Schnittstellen notwendig. Mit FHIR® (Fast Healthcare Interoperability Resources), dem Standard für den elektronischen Datenaustausch im Gesundheitswesen, steht eine technische Lösung bereit.
Obwohl die Adaption in der Schweiz noch schleppend vorangeht, werden Spitäler auf lange Sicht nicht um FHIR® herumkommen, wenn sie eine optimale Patientenversorgung sicherstellen wollen. [1]
b. Perspektive Leistungserbringer: Verbesserte Qualität in der Gesundheitsversorgung dank vernetzter Medizinprodukte
Krankenhäuser nutzen zur effektiven Verwaltung von Patienten und der präzisen Dokumentation individueller Krankheitsverläufe Krankenhaus-Informationssysteme (KIS). Die Integration fortschrittlicher smarter Produkte in klinischen Einrichtungen und auch im ausserklinischen Kontext (Hausgebrauch) wird immer wichtiger. Die hierbei gewonnenen Daten tragen massgeblich zur präzisen Diagnosestellung und zur kontinuierlichen Überwachung des Krankheitsbildes bei.
Eine solche Überwachung kann über die Plattform des Herstellers abgewickelt werden. Doch eine Integration in Krankenhaus- oder Praxissysteme hat entscheidende Vorteile:
- Der Arzt benötigt kein zusätzliches Tool, was die Arbeit erleichtert und Fehlerquellen reduziert.
- Die Zugriffsrechte auf die Patienten-Daten liegen nicht in der Verantwortung des Herstellers.
- Der Arzt hat für seine Diagnose auf seinem Informationssystem Zugriff auf unterschiedliche Datenquellen.
- Auf Seiten des Herstellerportals kann verstärkt mit (pseudo-)anonymisierten Daten gearbeitet werden.
Integration in Krankenhaussysteme
Viele der verwendeten Krankenhaussysteme unterstützen die vier wichtigsten offenen Standards: FHIR, HL7 v2.0, DICOM und IHE. Somit besteht grundsätzlich die Möglichkeit, externe Datenquellen anzubinden. Zugriffe auf die Gerätedaten im Kontext des Patienten bieten Konzepte wie «SMART on FHIR Apps» oder auch die Entwicklung und Bereitstellung von Apps in HIS-spezifischen «App Galleries».
Für eine optimale und pragmatische Integrationslösung müssen die Anforderungen klar spezifiziert und wichtige Fragen in der Konzeptphase gestellt werden: Relevant sind unter anderem Punkte wie die verwendeten Krankenhaus- und Praxissysteme, erforderliche Zugriffsrechte, geografischer Einsatz oder der Bedarf einer Echtzeitüberwachung.
Integration in Praxissysteme von Ärzten
Die Vielfalt von Praxissystemen übersteigt in der Schweiz diejenige der Krankenhaussysteme. Dabei sind Schnittstellen uneinheitlich und teilweise für Dritthersteller nicht nutzbar. Mit dem elektronischen Patientendossier in der Schweiz und der elektronischen Patientenakte in Deutschland werden digitale Möglichkeiten geschaffen, Daten zentral abzulegen und dem Patienten die volle Kontrolle über die Zugriffsrechte zu geben.
(Details siehe Factbox)
c. Perspektive Patienten: Gesundheitsdaten in der eigenen Hand
Ein Patient muss jederzeit – auch bei einem Wechsel des Arztes oder des Krankenhauses – Zugriff auf seine Daten haben und diese anderen zugänglich machen können.
Umfrageergebnisse zeigen eine hohe Akzeptanz der Bevölkerung für digitale Gesundheitssysteme. Diese sollten jedoch deutliche Vorteile bieten wie verbesserte Benutzerfreundlichkeit, präzisere Diagnosen und Therapien sowie reduzierte Gesundheitskosten. [3]
Auch der Wunsch nach mehr Kontrolle über die eigenen Gesundheitsdaten ist klar ersichtlich. Das bereits erwähnte elektronische Patientendossier ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.
Zusammenfassung: Datenintegration kann Mehrwert schaffen für Hersteller, Leistungserbringer und Patienten
Die Möglichkeiten der Integration sind bereits jetzt vielfältig. Sie müssen aber im Kontext der medizinischen Anforderungen, des Installationsaufwands, der Wartung, sowie länderspezifischen Gegebenheiten, Restriktionen und Planungen projektspezifisch genau betrachtet werden. Nur so kann eine kosteneffiziente Lösung erarbeitet werden, die den medizinischen Qualitätsanforderungen genügt. Helbling unterstützt Kunden dabei, auf Produkte abgestimmte Lösungen zu konzipieren, interoperable Lösungen auf der Basis von internationalen Standards zu implementieren. Das ist die Voraussetzung für Win-win-win-Situationen:
a. Der Hersteller erhöht mit der Integration die Akzeptanz für sein Produkt, ohne die Basis für Produktverbesserungen über den anonymisierten Datenzugriff zu verlieren.
b. Dem Arzt stehen integrierte Daten aus verschiedenen Quellen innerhalb eines Systems zur Verfügung, um seine Diagnose optimal zu unterstützen.
c. Der Patient ist über seine eigenen Gesundheitsdaten informiert und kann diese zielgerichtet Fachpersonen für eine erfolgreiche Therapie den zur Verfügung stellen.
Autoren: Berthold Andris, Frederic de Simoni, Aleksandra Hamryszak, Peter Wyss
Hauptbild: AdobeStock
Quellen
[1] BFH, Umfrage zur Verbreitung von FHIR® im Schweizer Gesundheitswesen 2021, https://www.hl7.ch/de/assets/File/Technisches_Komitee/BFH_Umfrageergebnisse_FHIR.pdf
[2] BAG, Weiterentwicklung des elektronischen Patientendossiers, https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/strategie-und-politik/nationale-gesundheitsstrategien/strategie-ehealth-schweiz/umsetzung-vollzug/weiterentwicklung-epd.html
[3] digitalswitzerland, Digital Health Study, https://digitalswitzerland.com/de/digital-health-study/
[4] Behörden-Spiegel, ePA weiter unbeliebt, https://www.behoerden-spiegel.de/2023/08/04/epa-weiter-unbeliebt/
[5] BFS, Bevölkerungsstand Schweiz 1. Quartal 2023, https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/stand-entwicklung.gnpdetail.2023-0207.html
[6] Destatis, Bevölkerungsstand Deutschland 1. Quartal 2023, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/aktuell-quartale.html
[7] HealthOn, DiGA-Fast Track – Blueprint für Digitalturbo in Europa?, https://healthon.de/blogs/2023/03/14/diga-fast-track-blueprint-fuer-digitalturbo-europa
[8] Service des Gesundheitsministeriums und des Nationalen Gesundheitsfonds Polen, 17Mio x IKP, https://pacjent.gov.pl/aktualnosc/17-000-000-x-ikp
[9] Service des Gesundheitsministeriums und des Nationalen Gesundheitsfonds Polen, FAQ zum IKP, https://pacjent.gov.pl/internetowe-konto-pacjenta/pytania-i-odpowiedzi
[10] Statista, Volumen der jährlich generierten/replizierten digitalen Datenmenge weltweit von 2010 bis 2022 und Prognose bis 2027, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/267974/umfrage/prognose-zum-weltweit-generierten-datenvolumen/
[11] Destatis, Bevölkerungsstand Polen 2022, https://www.destatis.de/Europa/DE/Staat/EU-Staaten/Polen.html
[12] eHealth Suisse, Vortrag EPD Anbindung Mai 2023, https://www.e-health-suisse.ch/fileadmin/user_upload/Dokumente/N/2023_EPD-Anbindung_Vortraege.pdf