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Design für non-compliant Anwender minimiert Interaktionshürden

Januar 2022

Beim Design und bei der Entwicklung von Produkten geht es um eine sichere und effektive Produktanwendung. Das Thema wird jedoch immer herausfordernder für Hersteller. Dies gilt im Besonderen für den Trend der Fusion von Medizingeräten und Konsumgütern. Ein wichtiger Aspekt sind auch spezielle Anwendergruppen, von denen nicht erwartet werden kann, dass sie voll hinter der Nutzung stehen. Interdisziplinäre Entwicklungsteams von Helbling haben umfangreiche Erfahrung darin, Produkte zu gestalten für spezielle Anwendergruppen wie etwa Kinder, ältere Menschen oder sogar Katzen. Mit dem User-Centered-Design-Ansatz und Modellen aus der Psychologie lässt sich das Engagement von sogenannten non-compliant Anwendern drastisch verbessern.

Was bedeutet ‘non-compliant’? Ein schreiendes Kind auf dem Supermarktboden ist ein eher extremes Beispiel. Ein realistisches Bild gibt ein Mensch mit verschränkten Armen, der die Anwendung eines Produkts verweigert. Beim Design müssen unter Umständen Anwender berücksichtigt werden, die nicht willens oder fähig sind, das Produkt hochmotiviert und mit vollem Engagement zu nutzen, also eine eingeschränkte Behandlungstreue zeigen.

Helbling beobachtet über die letzten Jahre einen wachsenden Bedarf an Unterstützung bezüglich dieser Themen. Benutzerfreundlichkeit nimmt eine immer zentralere Rolle ein, besonders für Medizingeräte. Auf der einen Seite vermischen sich diese Produkte verstärkt mit Konsumgütern wie Smartwatches und Apps. Auf der anderen Seite gibt es vermehrt spezialisierte Geräte für den Hausgebrauch. Einige Anwender sind vielleicht in einer schwierigen Situation, wenn sie mit dem Gerät interagieren, haben Schmerzen, ein eingeschränktes Bewusstsein oder sind vom Alter her limitiert. Helbling entwickelt aktuell ein Implantat für ältere Menschen, welches mit einer Fernbedienung gesteuert werden kann. Dies generiert Herausforderungen in Bezug auf eingeschränkte kognitive oder taktile Fähigkeiten.
 

Was tun, wenn ein Anwender das Produkt nicht nutzen möchte? – Unsichtbar machen!


Für Design- und Entwicklungsteams ist das Produktdesign eine besondere Herausforderung, wenn es um Anwender geht, die vielleicht nicht begeistert sind, das Produkt anzuwenden. Bei Medizingeräten kann dies über Leben und Tod oder zumindest über eine erfolgreiche Behandlung entscheiden. Eine einfache Handhabung erleichtert zudem die Situation von Betreuungspersonen wie Eltern und Angehörige.

Daher sollte die Anwendung des Produkts in Alltagsroutinen integriert werden und nur kleine Änderungen bestehender Routinen erfordern. Es ist elementar, die Berührungspunkte der Patienten und Betreuer mit dem Gerät zu verstehen. Nur so können mögliche Schwachstellen identifiziert werden. Um dies zu erreichen, folgt Helbling einem User-Centered-Design-Ansatz. Hierbei stehen die Experten während des Entwicklungsprozesses im engen Austausch mit den Anwendern: Es werden Interviews geführt und im Kontext von Anwendungsszenarien Beobachtungen durchgeführt. Kontextanalysen und Usability-Tests zeigen mögliche Anwenderrisiken und Gefahren auf, die beim Design berücksichtigt werden müssen. Hilfreiche Designfaktoren sind dabei die Form, Farbe sowie Sound und Vibrationen.
 

Wie das Produkt verstecken? In eine bestehende Alltagsroutine integrieren!


Indem die Experten Nutzerroutinen analysieren, können sie Optionen für eine Integration in den Alltag identifizieren. So vorgegangen wurde etwa bei einem aktuellen Projekt: Ein interdisziplinäres Team von Helbling entwickelt eine spezielle Brille für die Augenbehandlung bei Kindern, die eine bestehende Brille ersetzen kann. Um die bestmögliche Lösung zu generieren, arbeiten technische Experten, Software-Entwickler, Industriedesigner und Usability-Experten eng zusammen.

Abbildung 2: Brainstorming im interdisziplinären Team hilft, so viele Nutzeraspekte wie möglich einzubinden.

Schon in einem frühen Stadium des Projekts wird durch Helblings Usability Prozess unter Verwendung einfacher Prototypen (beispielsweise Papierprototypen) Feedback von Anwendern eingeholt. In einem ersten Schritt der Nutzerforschung (User Research) geht es um generelle Parameter, beispielsweise Massstäbe für die Grösse und das Gewicht einer Brille, die für Kinder noch akzeptabel sind. In einer folgenden Wiederholung – im Fachjargon Iteration – wird die Integration technischer Bestandteile untersucht. In einem formativen Usability-Test untersuchen die Experten auch deren Einfluss auf den Tragekomfort. Schliesslich wird das Gesamtpaket inklusive Verpackung und Labeling evaluiert.

Usability-Tests sind in verschiedenen Formen möglich. Wenn das Produkt im Innenraum genutzt wird, können potenzielle Nutzer beispielsweise in ein Büro eingeladen werden, um dort beobachtet zu werden. Falls das Produkt im Aussenbereich oder in einem sehr speziellen Umfeld genutzt wird, kann es sinnvoll sein das Umfeld zu simulieren oder tatsächlich ins Freie zu gehen. Im Blick zu behalten sind Parameter wie Hintergrundgeräusche, Ablenkungen und Lichtverhältnisse, die einen grossen Einfluss auf die Produktinteraktion haben können.
 

Wie mit der verbleibenden Interaktion umgehen? – Make it fun!


Die Produktnutzung sollte benutzerfreundlich ausgelegt sein, die Handhabung so simpel wie möglich. Helblings Usability-Experten und Industriedesigner entschieden, welcher Designansatz der sinnvollste ist, indem sie Modelle aus der Psychologie hinzuziehen und die Fähigkeiten der Anwender analysieren. Abhängig von der Nutzergruppe können Motivationstrigger (Sparks) gesetzt werden, um die Behandlungstreue zu verbessern. Orientierung bietet hier etwa das Fogg Behaviour Modell (siehe Darstellung).

Besonders relevant sind diese Instrumente, wenn eine erfolgreiche Behandlung die Änderung bestehender Routinen beim Nutzer erfordert. Zum Anstoss dieser Verhaltensänderung muss das Produkt zusätzlich zur einfachen Handhabung regelmässig Trigger und positive Verstärkungen bereitstellen. Das soll die Motivation aufrechterhalten. Möglich sind zum Beispiel Feedback auf dem Gerät selbst, unterstützende Pop-Up-Meldungen auf einer App oder eine Verbindung zu einer Gemeinschaft mit ähnlichen Interessen.

Helbling ist derzeit in eine App-Entwicklung involviert, bei der es darum geht, adipöse Nutzer bei ihrer Behandlungstreue zu unterstützen. Dabei werden insbesondere Sparks und ein Zugang zu Selbsthilfegruppen eingesetzt.

The Fogg midel, by B.J. Fogg

Zusammenfassung

Anwender-Compliance wird zum zentralen Bestandteil des Produktdesigns

Besonders bei Medizingeräten muss auf non-compliant-Nutzergruppen geachtet werden, denn hier ist eine hohe Anwender-Compliance essenziell für ein gutes medizinisches Resultat. Beides wird dadurch verbessert, indem Bedürfnisse korrekt eingeschätzt werden und die Geräte derart gestaltet sind, dass der Benutzeraufwand so gering wie möglich ist. Schlüssel hierfür ist eine enge Zusammenarbeit mit dem Nutzer während des gesamten Entwicklungsprozesses. Helblings Ansatz des iterativen User-Centered-Design und ein robuster Entwicklungsprozess haben sich als erfolgreich herausgestellt: Sie erlauben nutzerfreundliches und sicheres Design von Medizinprodukten und Konsumgütern – gerade auch unter Einbeziehung von non-compliant Anwendern.

Autorin: Dorothee Weichel

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Dorothee Weichel

Stationsstrasse 12
3097 Liebefeld-Bern

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